Cosmology of Kyoto
Cosmology of KYOTO: Visual Mindscape Of Old Japan
So nennt sich ein PC-Spiel, genauer gesagt ein "Academic
Adventure" - so bezeichnet es der Hersteller, das ich schon eine ganze
Weile spielen wollte. Leider kam ich sogar ein paar Jahre nicht dazu, es mir
von HOTU, wo ich es, als ich die Seite zum ersten Mal
durchstöberte, in der "Hall of Belated Fame" entdeckte, zu
besorgen. Im Nachhinein betrachtet ist das ziemlich traurig, denn mit
diesem Spiel kann man wirklich lange seinen Spaß haben, Spaß im
Sinne von "ein gutes Buch lesen", denn es spielt sich recht
eigenartig, dazu gleich mehr, und wenn Ole und TMB nicht gewesen wären
(Danke nochmal!), hätte ich es immer noch nicht gespielt.
Nun bin ich
also dem Reiz erlegen, der mich eigentlich jedes Mal kitzelte, wenn ich HOTU
besuchte. Vielleicht war für mich gerade jetzt der Auslöser,
daß die dürftige Beschreibung des Spiels mir verhieß, mehr
über
die Geschichte und die Mythologie Japans erfahren zu können. Das bietet
dieses Spiel tatsächlich zuhauf. Diese vielfältigen fantastischen
Geschichten und der Geisterglaube sind es auch, die mich so sehr an Filmen
aus Japan, die ich in der näheren Vergangenheit, die geneigte LeserIn
wird es wissen, häufiger komsumiert habe, und der japanischen Kultur im
Allgemeinen faszinieren. Ich würde gern erfahren, warum die Menschen in
einer so technologisierten Gesellschaft wie der japanischen sich immer noch
einen
so Starken Glauben an Geister oder verstorbene Verwandte, die durch
irgendeinen Wald oder Haus spuken, bewahrt haben.. Und auch ich, den man
gelegentlich auch liebevoll Nihilismus-Nille (frei nach The Big Lebowski -
"Die glauben ja an garnichts!") nennt, bin nicht frei davon: Ich
halte mich streng an die Tradition, daß
Rasmus,
das alte Rübenschwein, nach dem Auslaufen auf einem Segelboot immer
einen
Schluck vom besten Schnaps an Bord zu bekommen hat, und weiß auch
nicht, warum..
In Cosmology of KYOTO erlebt man viele dieser sagenhaften
Geschichten, die sich oftmals auf historische Zeichnungen beziehen (an denen
sich auch der Look stark orientiert), am eigenen
Leibe und trifft auf allerlei verschiedene Geister und Dämonen. Man
beginnt das Spiel als unbekannter Wanderer, der erst einmal nur die Kleidung
und einige Münzen besitzt, die er zuvor auch noch einer gescheiterten
(also toten) Existenz stehlen mußte, nachdem er in das
mittelalterliche
Kyoto, in seiner Blütezeit als damalige Hauptstadt, reiste. Es gibt
keine Einführung oder so etwas wie ein Tutorial, man kommt einfach so
an,
weiß nicht, wer man ist oder zu welchem Zweck man kam. Man steht da
und hat die Möglichkeit, die Stadt ganz frei zu erkunden.
Das Gameplay und die Handlung bestehen hauptsächlich daraus, sich
seinen individuellen
Weg durch die Stadt zu bahnen, sie zu erkunden und das Leben zu der Zeit,
wie es im
historischen Gedächtnis, also der überlieferten Vorstellung mit
allen erwähnten Mythen, aussieht, zu erfahren. Die Interaktion mit
seiner Umwelt beschränkt sich dabei auf ein Minimum: Man bewegt sich
mit der Maus durch die einzelnen Straßenabschnitte, indem man auf den
Bildschirmrand, der sein Blickfeld einschließt - adventure-untypisch
wird das Spiel aus der Ego-Perspektive gespielt - klickt. Aktionen und
Gespräche löst man durch einen Klick auf das entsprechende Objekt
oder den Charakter aus, Dialoge beschränken sich meist auf simple
Zustimmung oder Ablehnung.
Das Spielerlebnis hinterläßt bei mir den Eindruck von der
Vorstellung eines interaktiven Buches (im positiven Sinne, für
diejenigen die womöglich stutzen, weil sie den letzten Senf von mir zum
Thema Games im Gedächtnis haben).. Man blättert sich eher durch
das Spiel, als daß man selbst die Handlung bestimmt, man wählt
nur die Richtung und hat die Möglichkeit, die einzelnen Abschnitte zu
überspringen, zu wiederholen und zu selektieren, den Fortgang der
einzelnen Szenen kann man meist nicht ändern. Und wie bei einem guten
Buch wird man von den Geschichten eingesogen und kann sich durch die Kapitel
treiben lassen, an einer Stelle verweilen und sich entspannen und dabei
seine
Phantasie speielen lassen. Ich hatte das Gefühl, den Bericht einer
Reise zu lesen, auf der man sich selbst gerade befindet, mit unbekanntem
Ziel, Länge und Ausgang.
Auf dieser Reise durch die Kosmologie von Kyoto, dieser "Visual
Mindscape Of Old Japan", kann man einiges erleben. Das Spiel umfasst
900 Abschnitte, Häuser und Straßen, auf denen sich
jeweils eine oder mehrere Geschichten abspielen oder von den Einwohnern
erzählt werden. Dabei trifft man auf Bettler, Händler, mit denen
man ins Geschäft kommen kann, Glücksspieler, bei denen man sein
Geld loswerden kann, Kranke, Kinder, Alte, einfache Leute sowie
Blaublüter, Mönche, die einem Buddhas Lehren vermitteln wollen,
Diebe, Banker, und und und... Man sieht idyllische, ruhige Orte aber auch
grauenhafte Szenen sich abspielen und geht auch dann und wann durch Himmel
und Hölle und sieht verstörende dämonische Kreaturen und
muß auch selbst damit rechnen, jederzeit in einen Hund verwandelt zu
werden.
In meinen Augen ist dieses Spiel ein Kunstwerk, es wirkt auf mich wie ein
Fleisch gewordenes historisches Gemälde. Aber das ist nur meine
subjektive Einschätzung, das ist hier schließlich ein Blog und
keine Wissenschaft.. Es wurde zwar schon viel zu viel Schwachsinn zum Thema
Spiele und Kunst geschrieben, aber ich lasse die Backspace-Taste heute
ausnahmsweise mal in Ruhe, da ich den Eindruck habe, daß
dieses Spiel wirklich ein einzigartiges Werk ist, das eine ganz eigene
Sprache und Ästhetik entwickelt hat (Wer das für Unsinn hält,
darf es gern sofort wieder aus seinem Gedächtnis streichen). Auf der
anderen Seite ist Coskyoto auch nicht nur pure Unterhaltung, das sagt auch
schon die Bezeichnung als "Academic Adventure". Während
vieler Abschnitte läßt sich ein erklärender Begleittext
aufrufen, wodurch sich an der einen oder anderen Stelle auch klären
läßt was Fakt und was Fiktion ist. Tatsächlich fühle
ich mich auch ein wenig an diese Lern-CD-Roms erinnert, die man vielleicht
aus der Unterstufe oder Grundschule kennt.
Zum Schluß noch der Tip zum heutigen Tage: "Sie hat ihn einfach
angelacht, am nächsten Morgen ist er nicht mehr aufgewacht."
Obacht also!