October 23, 2007 9:02 PM

I want my cake

Screenshot - Portal

Du erwachst aus dem Tiefschlaf, saugst begierig frische, unverbrauchte Luft in deine Lungen als sich der Deckel der Stasiszelle, in der Du, ja, wie viele Stunden, Tage oder Monate eigentlich?, verbracht hast.
Um der klaustrophobischen Enge des High-Tech-Brutkastens, der aufgrund eines panischen Gefühls der Orientierungslosigkeit eher wie ein High-Tech-Sarg anmutet, zu entfliehen, stehts Du auf, siehst Dich um - Und findest Dich in einem drei mal drei Meter großen Glaskasten wieder.
Dein Verstand will gerade in Panik ausbrechen, als Dich eine metallische Stimme als Test-Subjekt im Aperture Science Enrichment Center begrüßt und sich eine Armlänge von Dir entfernt aus dem Nichts ein Portal öffnet, durch das Du Dich selbst dabei beobachten kannst, wie Du Dich selbst beobachtest, wie Du durch ein Portal schreitest.
Von da an akzeptierst Du, daß Dein Leben ein surrealer Traum ist, in dem die Gesetze der Logik nicht mehr gelten..
Willkommen in Portal, einem surrealem Traum von einem Puzzle-Spiel aus der Ego-Perspektive und einem Shooter, in dem nicht geschossen wird. (Zumindest so gut wie garnicht, und die sprechenden runden weißen Geschütztürme, die sich bei einem erkundigen, ob man noch da sei, sind die freundlichsten Waffen seit der interessantesten Bombe der Welt).
Einen derartigen Einstieg erwartet man vielleicht in Spielen mit einem epischen Plot, wie Anachronox, oder System Shock 2 oder in einem Science-Fiction-Roman, aber nicht in einem Spiel, das primär ein Puzzler ist.
Doch es handelt sich um ein Spiel aus dem Hause Valve, und das merkt man ihm zu jedem Zeitpunkt an: Wer einen Teil der Half-Life-Serie gespielt hat, wird sich auf der Stelle heimisch fühlen.

Screenshot - Portal

Dabei handelt es sich jedoch gleichzeitig um einen Segen wie auch einen Fluch - Die Steuerung und der Aufbau der Level sind, wie man in der Küche sagen würde, "auf den Punkt". Jede Aktion läßt sich, wie man es geplant hat, durchführen und die Entwickler haben penibel darauf geachtet, daß alle entscheidenden Geschehnisse eine visuelle oder auditive Rückmeldung geben, damit der Spiel-Fluß nicht gestört wird und man intuitiv auf Ereignisse reagieren kann.
Die Level sind klar gestaltet, sodaß man zielstrebig zu den Punkten, die wichtig sind, um die Rätsel zu lösen, hingeführt wird. Den Schwierigkeitsgrad der Knobel-Aufgaben kann man guten Gewissens als einsteigerfreundlich bezeichnen und steigt im Laufe des regulären Spieles kontinuierlich, um am Schluß ein moderates Level zu erreichen.
Frustration wird den meisten Menschen wahrscheinlich erspart werden, wohl aber auch der "Huh!"-Effekt, der auftritt, wenn man einen riesigen Raum voll tödlicher Fallen und vermeindlich unlösbarer Rätsel betritt, sowie natürlich das Gefühl von Glück und Stolz, nachdem man eine solche Aufgabe gemeistert hat.
Überhaupt hält man sich meist in verhätnismäßig kleinen Räumen und engen Gängen auf. Zusammen mit der beinahe lückenlosen Überwachung durch Kameras und halbdurchsichtigen Fenstern und den hellen, schmucklosen Wänden aus Beton und Vinyl trägt dies wunderbar zur beklemmenden Stimmung, sich in einem futuristischen Test-Labor oder gar im Bauch einer riesenhaften Maschine zu befinden, bei.
Dieses Thema wird im Spiel in der Summe stringent beibehalten, aber in regelmäßigen Abständen bewußt unterbrochen - Indem immer wieder gezielt Hinweise eingestreut werden, die suggerieren, daß man nicht der einzige Mensch1 in diesem im wahrsten Sinne des Wortes überdimensionalen Labyrith ist, durch die beizeiten beinahe sadistische Freude der Computerstimme GLaDOS, die einen anleitet, sowie die schon erwähnten charmanten Geschütze und den im Laufe eines Levels liebgewonnenen Weighted Companion Cube gewinnt das Spiel doch noch eine lebendige menschliche Note, die man ansonsten wahrscheinlich schmerzlich vermißt2 hätte.

Screenshot - Portal

Für die 23(?) Level, die in nur 3-4 Stunden Spiel-Zeit für den Hauptteil resultieren, hätte man die meisten Indie-Entwickler3 wahrscheinlich zurecht verbal niedergeknüppelt.
Portal bekommt aber gerade noch so die Kurve, da die Bonus-Maps, in denen es schon bekannte oder leicht modifizierte Räume auf eine neue Art und Weise, zum Beispiel in möglichst wenig Schritten, auf Zeit oder mit einer möglichst geringen Anzahl verschossener Portale, zu meistern gilt, dazu einladen, sich noch ein paar Stunden länger mit dem Spiel zu beschäftigen.
Das gleiche gilt für die mehr oder weniger versteckten Räume und Gimmicks am Wegesrand, die, wie gesagt, das Ihre zur Story beitragen, das kennt man so auch schon aus Halt-Life 2, und die von der X-Box 360 abgeschauten Achievements. Ebenfalls gilt es, auf das Erscheinen weiterer Bonus-Maps aus der Mod-Community zu hoffen. Start thinking with portals!

Screenshot - Portal

1) Das mit dem "Mensch-sein" darf gern diskutiert werden. Die Bladerunner-esquen Sprüche, der Monolog ganz am Schluß und die komische Färung des Blutes geben genügend Anlaß. ;) 2) Das Lebendige, Fröhliche, Niedliche, Bunte, das vielen PC-Spielen fehlt, macht sicherlich einen Großteil des Erfolges von Nintendos Wii-Konsole und Titeln wie Super Paper Mario aus.. Vielleicht sollten sich PC-Entwickler ein, zwei Scheiben davon abschneiden. 3) Ich halte es dennoch für beachtlich, daß Valve über seinen Schatten springt und sich konsequent Schritt für Schritt von dem Konzept des typischen eindimensionalen "shooter-on-rails" verabschiedet und mit Portal die Entwicklung weiterführt, die mit der Einführung der Gravity-Gun in Half-Life 2 begonnen hat.

Author: nille | Permalink | Category: games