Underwater Love
Sie hätte es sich so einfach machen können - Den ganzen Tag im seichten 30°C warmen Meer, zwischen farbenprächtigen skurilen Korallenformationen, quasi dem Unterwasser-Equivalent eines Regenbogens, umher zu tollen, Clownfische zu ärgern, sodaß sie verschreckt in den Schutz ihrer Seeanemone flüchten.
Naija hätte auf dem Rücken von Delphinen, Seepferdchen oder Riesenschildkröten durch die heranbrechende Gischt reiten und sich dabei versuchen können sich vorzustellen, wonach die vom Land herüber wehende Luft schmecken, was sich hinter den Wasserfällen und steilen Klippen verbergen mochte.
Die süße Meerfrau hätte weiterhin stundenlang in Küstennähe gelegene Unterwasserhöhlen erkunden und dort nach verborgenen Schätzen suchen können. Hätte sie sich nicht gefragt, wer die vielen Stücke, die ihr kleines Heim schmücken, einst dort hinterlassen hatte.
Es boten sich genug, Aktivitäten, die sie endlos beschäftigen könnten, ohne daß ihr je hätte langweilig sein müssen: Ihre bezirzende Stimme erlaubte es ihr, mit allerlei Pflanzen und Tieren zu interagieren oder einfach tausend unterschiedliche Melodien zu singen.
Das Meer bot verschiedenste Materialien und Stoffe, Perlen, Muscheln, Schneckenhäuser, Seide aus dem Garn von Wasserspinnen, nichts, was ihre Phantasie nicht vorzustellen zu vermochte, aus denen man die traumhaftesten Gewänder und Kostüme herstellen konnte.
In den kälteren Gewässern wogten unzählige Sträge saftigen Riesentangs, zusammen mit verspielten Ottern tauchte sie dort in den reichen Muschelgründen, fischte nach glitschigen, aber zuckersüßen Eiskristallen und ersann immer neue köstliche Rezepte aus der Fülle der Rohstoffe.
Es ist nur keine Menschenseele da, mit der sie die schönen Lieder und Gerichte teilen könnte, niemand, der ihr spannde Geschichten aus der Welt auf dem Meeresgrund erzählen, ihr sagen könnte, wer sie ist und wo sie herkommt.
Keiner, mit dem sie um die Wette schwimmen, ein Kleid schneidern oder Fragen stellen könnte - Naija ist die einzige ihrer Art.
Diese Erkenntnis reift jedoch erst langsam, nachdem sie von unsichtbarer Hand immer tiefer in die immer dunkler werdende Unterwasserwelt gezogen wird und auf ihr bisher vollkommen unbekannte Ruinen und Relikte längst untergeganener Zivilisationen stößt.
Dunkler bedeutet nicht nur weniger Sonnenlicht - Naija begegnet mehr und mehr düsteren und finsteren Kreaturen, größer als die verspielten Riffbewohner und versprengten Haie. Lebewesen, die aggressiver sind als eine in der Strömung treibende Qualle, an der man sich gelegentlich die Beine verbrennt, urzeitliche Monströsitäten, die in ihrer unwirtlichen Umgebung einen unstillbaren Hunger auf alles Lebendige entwickelt haben.
Je tiefer Naija taucht, desto weiter entfernt sie sich von ihrem bisherigen Leben, von ihren Gewohnheiten und Gefühlen.
Brutale Zerstörung, der modrige Geschmack abgestandenen Wassers, das sich Äonen nicht bewegt hat und immer noch einen kaum wahrnehmbaren, dafür aber um so bedrückenderen Eindruck von den schrecklichen Geschehnissen der Vergangenheit vermittelt, die ständige Bedrohung ihrer Gesundheit durch allerlei giftige Lebewesen mit Stacheln oder messerscharfen Zähnen, all das läßt sie Empfindungen verspüren, die sie in ihrer angenehm warmen, mit Spielzeugen gefüllten Badewanne an der Oberfläche nie zuvor verspürte, verspüren
mußte: Angst, Wut, Einsamheit, Verzweiflung, Sehnsucht.
Auf ihrer langen Reise durch die Tiefsee wird sich Naija einigen äußerst kräftezehrenden Auseinandersetzungen stellen müssen, dunkle und sehr bedrohliche Mächte werden sich ihr in den Weg stellen, und sie wird auch feststellen, daß in ihren Inneren einige bedrohlichen Dinge an die Oberfläche drängen.
Scheinbar unüberwindliche Kräfte und verschlossene Türen werden sich der jungen Nixe in den Weg stellen. Ich glaube, sie würde sich über einen Begleiter an ihrer Seite sehr freuen -
Nimm sie ein Stück bei der Hand..