April 07, 2008 11:40 PM

Dont fear the Reaper

Screenshot - PreyPrey macht den Larry, bäckt ganz große Brötchen, protzt, klotzt, trägt ziemlich dick auf, und das in fast allen Bereichen des Spiels.
Innerhalb der ersten paar Minuten nötigt einen Prey, in der Haut des Protagonisten Tommy in einem Disput mit zwei Truckern um den Themenkomplex: "Wer darf meine Freundin anlangen?" mit einer meterlangen Rohrzange zu argumentieren.
Gleich darauf wird Tommy mitsamt Freundin Jen, seinem Großvater, der, wie es sich für einen alten Mann vom Stamm der Cliché-Indianer gehört, ständig einen weisen Spruch auf den Lippen hat, sowie der gesamten Bar, in der sich die Gruppe befindet, in ein enorm großes, kugelförmiges, grün leuchtendes Alien-Raumschiff gebeamt.
Um, das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen, sie zu kleinen würfelförmigen Häppchen zu verarbeiten!

So weit, so Alibi-Plot. Macht aber nichts, denn die Entführung seiner Liebsten versetzt einen als Spieler in die richtige Stimmung, um in den nächsten acht bis zehn Stunden in traditioneller Shooter-Manier eine Menge feindselige Außerirdische in die ewigen Jagdgründe zu schicken. In der letzten Stunde jedoch wirkt die Story mit ein paar vorhersehbaren, unspektakulären Wendungen sehr aufgesetzt. Das wird nur dadurch wettgemacht, daß Tommy ziemlich in Rage gerät und anfängt zu fluchen wie ein Seemann.
Nachdem er über weite Strecken ungefähr so viel Charisma ausstrahlte wie ein Holzklotz, macht es riesig Spaß, ihm dabei zuzuhören, wie er sich hämisch freut, wenn er dem ominösen Keeper einen weiteren (im übertragenen Sinne) Schlag in die Magengrube beibringen kann.

Screenshot - Prey

Was die Kernelemente des Spiels anbelangt, serviert Prey gut bürgerliche Küche. Auf dem Waffen-Menü stehen 7 verschiedene Gänge, deren Charakteristika jeder Person, die schon das eine oder andere Action-Spiel gespielt hat, nicht nur geläufig, sondern wahrscheinlich in Fleisch und Blut übergegangen sein werden: MP, Sniper-Gewehr, Granaten, Rocket Launcher, Shotgun, Gatling-Kanone & Co. haben in Prey eine, wenn auch ziemlich bunte, Entsprechung gefunden.
Die Level in Prey bestehen wie die seines Stiefbruders Doom 3 häuptsächlich aus engen Gängen, in denen einem das Vorwärtskommen durch plötzlich spawnende Gegner, Schalter-Rästel oder Vehikel-Passagen erschwert wird. Als Immersions-hungriger Spieler war ich ein wenig enttäuscht, daß es weniger geheime Verstecke und Gimmicks zu entdecken gab als in Doom 3.

Ok, jetzt wissen wir: Prey ist ein solider Shooter, der so auch fünf oder zehn Jahre früher hätte erscheinen können... Wenn es nicht einige Aspekte gäbe, und jetzt komme ich auf den Anfang zurück, die Prey großartig und besonders machen:
Erstens gibt es Portale. Die man jedoch leider nicht zu seinem Vorteil nutzen kann. Anstatt aus einer dunklen Ecke zu springen, erscheinen im Spiel mitten vor Tommys Nase Gegner aus aufspringenden Portalen. Andererseits kann man auch selbst durch offene Portale schreiten, so daß man plötzlich in einem unbekannten Raum, im ungünstigsten Fall vor einer Horde Monstern, steht und sich erst einmal umsehen und orientieren muß, wo man sich überhaupt befindet.
Dies sorgt für ein paar nette Schock-Effekte, man kann sich allerdings leider nicht auf einer individuellen Route durch das riesengroße
Raumschiff oder auch nur das aktuelle Level bewegen, wie es aus einem anderen kürzlich erschienenen Titel bekannt ist.

Screenshot - PreyZweitens entstehen an manchen Stellen ebenfalls Situationen, in denen man die Orientierung verlieren kann. Dann nämlich, wenn man
(wortwörtlich, nicht vor Frustration) an die Decke geht.
Aktiviert man einen Schalter, auf einem Terminal oder indem man an die Decke auf einen erleuchteten Bereich schießt, erhält man die
Möglichkeit, auf speziellen Laufstegen, die sich an den Wänden und Decken entlang schlängeln, der Gravitation und dem Weltraum-Ungeziefer auf den Kopf zu spucken.
Ein paar kleine Rätsel müssen durch die Benutzung dieser Schalter gelöst werden, aber, was mich schon länger in Sci-Fi-Shootern
stört, leider orientiert sich auch Prey stark an weltlicher Physik und spielt sich hauptsächlich auf einer Ebene und sehr lokal ab - Kein wildes Herumgehüpfe, -geschwebe und -gefliege im Raum.

Der dritte Aspekt ist ebenfalls ziemlich gimmicky: Dank seines Ethno-Hintergrundes verfügt der Protagonist Tommy über eine robuste Gesundheit. So robust, daß, sollte er einmal unter widrigen Umständen sein Leben verlieren, er aus der Welt seiner Vorfahren wieder in die Realität einhauchen kann, indem er primärfarbene schemenhafte Geister mit einem Bogen abschießt.
In einem ähnlichen Modus kann man aus seinem Körper treten und als eine Art Geist bestimmte Barrieren überwinden, sich aus kniffligen Situationen herauswinden und ein paar Monster mit Pfeil und Bogen aufs Korn nehmen.
Ich finde diesen Cheat-Mode etwas unglücklich, da man ihn in der Regel nur in Boss-Kämpfen benötigt. Ist man dort erst einmal gestorben, stirbt man häifig auch ein zweites und drittes Mal und findet sich in einer ähnlich ungünstigen Situation wieder.

Screenshot - Prey

Die Anti-Gravitations-Laufwege, Mini-Planetoide, auf die man sich durch ein Portal transportieren lassen kann, Kisten, durch die man andere Räume betreten kann, und der Spirit-Walk erscheinen auf den ersten Blick wie Spielkram, um die etwas angestaubte Spielmechanik zu übertünchen.
Diese Gimmicks leisten jedoch eine äußerst wichtigen Beitrag zum Spiel: Sie tragen enorm zur Atmosphäre in Prey bei.
Und die ist großartig; in der Welt von Prey ist fast alles bombastisch und exzentrisch. Die Monster sind bullig, teilweise haushoch, ebenso die Waffen. Vieles fühlt sich wirklich außerirdisch an, und zwar, weil viele Objekte einfach absurd erscheinen, keinen augenscheinlichen Zweck erfüllen - alles scheint und leuchtet in Neon-Farben, das große sphärische Raumschiff besteht teilweise aus organischen Materialien und (hust) anatomischen Formen, die Waffen zucken, tropfen und scheinen ein Eigenleben zu besitzen, man trifft auf phantastische Mechanismen, die zwar in der realen Welt so niemand entwickeln würde, aber in der Welt von Prey, in Anführungszeichen, funktionieren.
Auch der hanebüchene Plot und das Auftreten der Aliens, die eine komplette Bar und ein ganzes Flugzeug in ihr Raumschiff beamen, Spielautomaten manipulieren und nebenbei die gesamte Menschheit verspeisen wollen machen Prey zu einem abgefahrenen Erlebnis, auf das sich 10 Jahre zu warten gelohnt hat. 


Author: nille | Permalink | Category: games