November 19, 2010 12:26 PM

What's cooking, Julian Luxemburg?

Ein kleines Gedanken-Experiment: Welche Gründe könnte man theoretisch ins Feld führen, wenn man eine Ausrede sucht, um Jeroen Stouts „Dinner Date“ nicht kaufen zu wollen?

[P] Julian nimmt einen kräftigen Schluck aus dem Weinglas, das er eigentlich für Meiko vorgesehen hatte. Meiko, das ist die süße, elegant gekleidete Japanerin mit den hübschen, schlanken Beinen, die Julian schon seit einer halben Ewigkeit bei einem geplanten gemeinsamen Abendessen auf sich warten läßt.

Erst einmal wäre da die Spielzeit von deutlich unter einer Stunde (Zwanzig Minuten und 38 Sekunden, um genau zu sein), und das bei einem Kaufpreis von gut zwölf US-Dollar. Dazu kommt, dass man das Spiel mehrmals durchspielen sollte, nein, durchspielen muss, damit sich einem auch dessen gesamter Inhalt erschließt. Besagter Inhalt übrigens besteht aus vielen, sehr vielen Monologen, Hintergrundgeräuschen und -Musik, sowie aus einem einzigen dreidimensional gestalteten Raum. In dem man sich noch nicht einmal frei bewegen kann. Nicht einmal mit der Mouse kann man sich darin umsehen. Wie bei interaktiven (dieses Wort müßte man hier eigentlich in Anführungszeichen setzen) Lern-CD-Roms aus den frühen Neunziger Jahren – wohlgemerkt gibt es durchaus herausragend gute Vertreter dieser Gattung (siehe „Cosmology of Kyoto“ und „The Dark Eye“; heutzutage tauchen Geschichten von Edgar Allan Poe dagegen eher in billig produzierten Hidden-Object-Games auf) – verbleibt man als Spieler in „Dinner Date“ fast die gesamte Zeit über in der Rolle des passiven Beobachters.

[Q] Julian starrt, als hätte man ihn in Hypnose versetzt, auf die altmodische Wanduhr in der kleinen Küche, für die Meiko ihn die korrekte japanische Vokabel gelehrt hat. [F] Die linke Hand trommelt nervös auf der Oberfläche der Tischplatte. Der Tisch steht quasi im Prototyp eines Single-Apartements – Dort ist es überall so eng, dass man sich zwangsläufig nah, sehr nah, kommen muss. [A] Man kann froh sein, wenn man nicht die Kerzen nicht vom Tisch fegt, falls man der Angebeteten den eigenhändig gekochten Hauptgang serviert. Und man kann froh sein, wenn einen die Wände nicht zerquetschen, sollte die Angebetete einen versetzt haben.

Die wenigsten Entscheidungen im Spielverlauf können vom Spieler beeinflußt werden; ihm oder ihr bleibt meist nur übrig, durch das Drücken von acht bis zehn verschiedenen Buchstaben auf der Tastatur zu bestimmen, was die Spielfigur momentan betrachtet und welche Gesten seine Hände und Finger im Augenblick exerzieren. „Dinner Date“ besitzt zwar nicht so viele Möglichkeiten zu Interaktion, zum Ausgleich bietet das Spiel etwas, das viele Titel heute nicht mehr bieten: Charakter.

Bei Tripple-A-Budgets von mehreren hundert Millionen müssen solche Titel logischerweise auch in etwa eben so vielen potentiellen Kunden gefallen. Indie-Spiele wie „Dinner Date“ sind dagegen ein Nischenprodukt. Das sollten natürlich auch ein paar Personen kaufen wollen, aber schließlich handelt es sich dabei immer noch um eine Indie-Dating-Simulation. Dennoch steckt in diesem Spiel mehr Persönlichkeit als in jedem „Call of Duty“ oder „Medal of Honor“. Es präsentiert einen Protagonisten, der viel zu erzählen hat und über den man deutlich mehr erfahren kann, als über vergleichbare Figuren in einigen Mainstream-Games. Julian scheint beispielsweise Fan von „Dinosaur Comics“ und schnulzigen vorviktorianischen Versen zu sein. Dabei besteht natürlich die Gefahr, dass einem als Spieler eines der eben genannten Dinge ziemlich lame findet.

[Z] Julian verschränkt seine Arme hinter dem Kopf; er bedenkt, wie er sein Leben in den nächsten Minuten, oder meinetwegen Stunden, gestalten wird. Wie er seine Kollegen betiteln wird, die ihn zu diesem sogenannten „Date“ überredet haben. Dass er seinen Boss um eine Gehaltserhöhung bitten wird, um sich endlich die Miete für eine größere, hoffentlich genau so zentral gelegene Bude leisten können wird.

Überhaupt ist Julians Figur nicht gerade sehr charismatisch – Er ist, im Gegenteil, eher ein einigermaßen prätentiöser Hitzkopf und Lebemann, dessen Gedanken sich ständig um Sex drehen (daher vermutlich auch die Vorliebe für romantische Poesie). Julian scheint zudem sehr von sich selbst eingenommen zu sein. Es scheint ihn weniger zu stören, sitzen gelassen zu werden, als nicht seiner Lieblingsbeschäftigung (im Pub jemanden aufzureißen) nachgehen zu können.

Um zur eingangs aufgeworfenen Frage zurück zu kommen: Warum würde man ein Spiel wie „Dinner Date“ nicht anschaffen wollen? Sollte einem das Setting, das Aussehen, die Musik oder etwas in dieser Richtung nicht schmecken, dann halte ich es nicht für verwerflich, wenn diejenige Person nicht einen Cent für das Spiel ausgibt… Wem jedoch einfach nur das Drumherum nicht gefällt, wer aus Prinzip Spielen, die sich nur mit der Tastatur bedienen lassen, keine Chance gibt, wer sich über „Waffen, die keinen Punch haben“, und Dergleichen, beschwert, dem kann ich hier auch nicht helfen, der sollte sich vielleicht auch gleich ein anderes Blog zum lesen suchen.


Author: nille | Permalink | Category: games