January 01, 2012 11:45 PM

Tausendundeine Nacht

Wenn Nicklas Nygren alias Nifflas nicht gerade Indie-Plattformer entwickelt, bohrt er vermutlich in fremder Leute Rachen herum, schließlich wird gerade den Dres. dent. häufig nachgesagt, sie gingen in der Freizeit künstlerisch und technisch anspruchsvollen Hobbies nach. Malerei und Fotografie entsprechen zwar eher dem gängigen Cliché, aber Spieledesign erfüllt diese Kriterien nicht minder. Mit wenigen Suchanfragen läßt sich feststellen, daß Nifflas seinen Lebensunterhalt als Programmierer bestreitet, doch der Vergleich mit einem Zahnmediziner ist nicht ganz umpassend, betrachtet man sein Anfang 2011 erschienenes Werk „NightSky“

Screenshot - NightSky

Je drei der etwa ein hundert Levelabschnitte des 2D-Plattformers bilden ein Triptychon, das wiederum einer Themenwelt, wie dem ewigen Eis oder antike Ruinen, angehört. Ihr Vordergrund ähnelt stark einem Scherenschnitt, über dessen filigrane Kurven, Spitzen und Plateaus eine Kugel aus einem Obsidian ähnlichen Material zum nächsten Abschnitt manövriert werden muß. Der Hintergrund, vor dem sich das Spiel mit dem sonderbar rutschigen Element entfaltet, bildet mit Farbverläufen wie aus einem Aquarell einerseits einen starken Kontrast zur monochromatischen Spielfläche, auf der anderen Seite unterstreicht er wiederum das Sujet des aktuellen Bildes: Rollt die Kugel über sie sanften Dünen eines Strandes, ist im Hintergrund ein orange-roter Sonnenuntergang zu sehen, in der Welt des Permafrosts hingegen ein eisig klarer Nachthimmel.

Zu den Himmelspanoramen, die mit ihren gesetzten Blautönen für harmonische Stimmung sorgen, gesellt sich auch der Soundtrack des Jazzmusikers Chris Schlarb. Die experimentelle Stücke, die streckenweise nur aus dem Nachklang angestoßener Saiten von E-Gitarre, Bass oder Mandoline bestehen, vermitteln noch mehr Ruhe und Harmonie. Eine gewisse innere Gelassenheit sollte man auch unbedingt mitbringen, wenn man Spaß an „NightSky“ haben möchte. Das gesamte Spiel sieht nicht nur aus und hört sich an wie das Ergebnis der Fingerübungen eines Chirurgen, Dentisten, Ingenieurs oder Architekten in der Ausbildung, es fühlt sich auch so an. „NightSky“ ist der feuchte Traum jedes Physiklehrers, der seinen Schülern das Prinzip der Trägheit der Masse nahebringen will. Das Verhalten der Kugel auf der schiefen Ebene, dem Pendel oder einer Wippe als Experiment im Spiel zu erfahren und vor allem beherrschen zu lernen, macht seinen Reiz aus. Die physikalischen Eigenschaften der Spielfigur sind immer spürbar und relevant für den Fortschritt im Spiel – viele Hindernisse lassen sich zum Beispiel nur überwinden, wenn die Masse der Kugel zur rechten Zeit erhöht oder verringert wird und sie die korrekte Rotationsgeschwindigkeit aufweist.

Screenshot - NightSky

Die Themenwelten, die als Spielkulisse dienen, (arktische Landschaften, der Kosmos oder ein verkarstetes Felsmassiv), die im Spiel portraitierten Objekte (exotische Tiere, Sagengestalten und verschiedeste mechanische Apparate), die Wahl einer Darstellung als archaischer Scherenschnitt, der wahrscheinlich eher mit dem Figurentheater als mit einem Videospiel assoziiert wird, die lange Stille zwischen den Liedern, die zum Nachdenken einlädt… Es scheint, als gehöre „NightSky“ in das vergangene Jahrhundert, in einen gutbürgerlichen Haushalt, anstatt ins Digitale Zeitalter. Dazu gehört auch, daß man sich als Spieler damit anfreunden muß, viel Disziplin aufzubringen und im schwierigeren „Altenative Mode“ einzuüben wie einen Tanz oder ein klassisches Instrument. Wer diese Art zu spielen als rückwärts gewandt anieht, der beißt ganz schnell auf Granit (um die Zahnarzt-/Geologen-Analogie erneut zu bemühen). Wer dagegen auch in etablierten Genres nach dem Besonderen sucht, wer sich mehr für leise Töne, denn für brachiale Action, interessiert und wer Herausforderungen nicht scheut, findet in „NightSky“ nicht allein ein gut gemachtes, sondern auch ein geistreiches, die Phantasie beflügelndes Spiel. Wie ein Märchen aus „Tausendundeiner Nacht“.


Author: nille | Permalink | Category: games