March 18, 2012 5:06 PM

Dampf ablassen

Wie der Titel suggeriert, habe ich diesen Kommentar geschrieben, um eine impulsive Handlung von mir zu erklären, einerseits vor anderen, die davon ebenfalls betroffen sind (es handelt sich immerhin auch um ein soziales Netzwerk, in dem man auch sozialem Druck unterworfen ist), und auf der anderen Seite vor mir selbst, da die ganze Aktion zugegebenermaßen nicht von Anfang an durchdacht gewesen ist. Eigentlich wäre mit dem Schreiben dieses Textes für mich auch schon alles erledigt gewesen, die Zielgruppe bin weitestgehend ich selbst. Dennoch bin ich auch ein wenig gespannt darauf, ob der Artikel auch Reaktionen abseits von Kopfschütteln oder vollständigem Zuspruch hervorruft. Sollte dies der Fall sein, haltet sie in den Kommentaren fest.

Vor einer Weile habe ich meinen Steam-Account* stillegen lassen und den Betreiber des Dienstes, Valve Software, aufgefordert, meine damit verbundenen persönlichen Daten zu löschen. In der Konsequenz habe ich den Zugang zu allen bei Steam erworbenen Spielen verloren – bis zum heutigen Tag habe ich es noch nicht bereut. Genau das war, unter anderem, auch meine Intention: Anderen zu zeigen, dass man sich auch ganz leicht wieder von Unternehmen wie Valve loslösen kann. Es war eine Art Selbstversuch, allerdings nicht nur um seines selbst willen, sondern vor einem handfesten Hintergrund. Ich habe vorher schon vermutet, dass ich den Kontakt mit dem Unternehmen nicht vermissen werde, obwohl ich die Valve-eigenen Spiele wie „Half-Life 2“ immer sehr gemocht habe.

Ich halte mich für einen kritischen Konsumenten, das heißt, ich probiere gern neue Produkte, wie seinerzeit Twitter oder aktuell Musik-Streaming-Dienste, aus; sobald mir allerdings unliebsame Eigenschaften daran auffallen, die zu umgehen ich nicht im Stande bin, möchte ich mich wieder davon lösen, und zwar ganz und gar. In vielen Belangen halte ich es mit dem berühmten Zitat von Neil McCauley aus dem Film „Heat“, gespielt von Robert DeNiro: „Don't let yourself get attached to anything you are not willing to walk out on in 30 seconds flat if you feel the heat around the corner“. Genau so wenig wie meine fünfzehn Jahre Kettenraucherei vermisse ich auch diesen speziellen digitalen Spieleladen, den ich im Übrigen für nicht minder schädlich als die Glimmstengel halte. Es ist ja nun nicht so, dass ich mit Steam verheiratet gewesen wäre und mich ein Leben lang an eine technische Plattform binden müsste, um Videospiele zu spielen.

Man, das heißt der typische Power-Gamer, wie ich es war, gibt naturgemäß einiges an „Werten“ auf, verlässt er oder sie eine Plattform wie Steam. In meinem Fall waren es etwa 620 Euro (nach durchschnittlichem Dollar-Wechselkurs über den Zeitraum der Käufe), die ich Steam über die Jahre in den Rachen geworfen habe. Siebzig Spiele habe ich seit 2007 allein über die Steam-Website erworben, dazu kommen etwa weitere 30 über externe Händler, als Beta, Bundle oder auf einem physischen Datenträger. Wer bei Steam Geld lässt, muss sich darüber im Klaren sein, dass die erworbenen Produkte nicht ewig währen. Es reicht schon, sich für längere Zeit nicht beim Dienst anzumelden und man läuft Gefahr, all seine Erwerbungen zu verlieren. Oder jeder andere Grund. Denn die Vertragsbedingungen besagen, dass Valve sich das Recht vorbehält, den Account jederzeit zu sperren oder gleich vollständig zu schließen. Ersteres ist mir vor ein paar Jahren bereits einmal passiert. Seitdem bin ich bei Steam nie wieder vollkommen zufrieden gewesen.

Wer in digitalen Rechte-Management-Systemen eine Gefahr sieht, sollte Steam nicht verwenden. Punkt. Denn Steam ist DRM der allerschlimmsten Gattung. Über den Service an sich kann sich niemand glaubhaft beschweren: Es werden keine versteckten Root-Kits auf den Nutzer-PCs installiert, es gibt, soweit ich weiß, keine Treiber, die sich nie wieder entladen lassen, Spiele-DVDs funktionieren in so gut wie allen Laufwerken und es existiert ein halbwegs nutzbarer Offline-Modus. Es fehlen Skandale wie das Aktivierungslimit bei „Bioshock“, die Abschaltung der Authentifizierungs-Server von Ubisoft vor Kurzem oder der gekoppelte Foren-/Origin-Ban von EA vor einer Weile. Steam wird nur nicht als so böse wahrgenommen wie Securom & Co., weil es schlichtweg funktioniert, wie erwartet. Dennoch besteht die Gefahr, dass Valve seinen Nutzern zu jeder Zeit den Zugriff auf die erworbenen Spiele versagen könnte. Man bedenke nur, was passiert wäre, wenn Rechtemanagement oder, besser gesagt, Kopierschutz bei Audio-CDs funktioniert hätte und die Scheben auch in Autoradios, PCs und ähnlichen Geräten einwandfrei abspielbar gewesen wären, aber nicht in MP3 konvertierbar… Niemand wäre in der Lage gewesen, seine Musiksammlung unterwegs zu nutzen, es sei denn, wir würden weiterhin alle mit Disc Man herum laufen.

Aktiv genutzt habe ich meinen Steam-Account schon einige Monate nicht mehr. Die wenigen Spiele, die ich in der wenigen mir verbliebenen Freizeit noch kaufe, erstehe ich meist direkt beim Entwickler. So erhält er/sie im Zweifelsfall einen höheren Anteil vom höheren Grundpreis. Valve fördert zwar einerseits ausgewählte Indie-Entwickler (wobei es fraglich ist, ob man die überhaupt noch so bezeichnen sollte) und verschafft ihren Spielen viel Aufmerksamkeit, mit seinen teilweise enormen Rabattaktionen hat Valve allerdings gleichzeitig die Preise in den Keller gedrückt (wenn auch sicherlich nicht allein). Von der riesigen Nutzerzahl von Steam profitiert leider nur ein Bruchteil der Indie-Szene – es liegt in der Natur der Sache, dass Valve nur eine begrenzte Anzahl Titel veröffentlichen kann. Wer nicht zu diesem erlauchten Zirkel gehört, muss mit deutlich gesunkenen Verkaufspreisen und auch nicht unbedingt deutlich mehr potentiellen Käufern als noch vor ein paar Jahren kämpfen. Die meisten Indie-Games, die ich bis zum Jahr 2008 bei Steam gekauft habe, kosteten noch um die 20 Euro, heutzutage gilt ein Preis von der Hälfte als nicht gerade günstig. Dabei hat sich die Qualität der Spiele alles andere als verschlechtert, Indie Games sind heute so vielseitig wie nie. Hergestellt werden heutzutage nicht mehr nur Retro-Remakes und pixelige 2D-Jump'n'Runs, sondern bewegende Erzählungen in zunehmend raffinierter gestalteten Umgebungen.

Das Fass zum Überlaufen brachte bei mir erst der Hack von Steam-Forum und -User-Datenbank im November letzten Jahres und wie lapidar die Sache von Gabe Newell herunter gespielt wurde. Wer sich heraus nimmt, meine persönlichen Daten und andere sensible Informationen wie Kreditkartennummer vorrätig zu halten und sie nicht hinreichend zu schützen vermag, der hat bei mir ein für allemal das Vertrauen verspielt. Wer in einer solchen Sitaution seinen Kunden nicht zugesteht, ihre privaten Daten zu löschen und gleichzeitig die erworbenen Produkte weiterhin zu nutzen, der muss sich nicht wundern, prinzipiell zahlungsfreudige Käufer für immer zu verlieren. In Zukunft soll mir dieser Vorfall eine Lehre gewesen sein, mich irgendwo anzumelden, wo sich nicht auch wieder einfach Daten und Zahlungsinformationen löschen lassen, ohne dadurch sämtliche Nutzungsrechte aufgeben zu müssen, die man einmal besessen hat. In Zukunft werde ich eher zwanzig als zwei Mal überlegen, ob ich für Dienste wie Simfy bezahlen möchte. In Zukunft werde ich vermutlich keine neuen Apple-Computer verwenden, wenn die Verknüpfung mit einer Apple-ID und meiner E-Mail-Adresse die zwingende Voraussetzung dafür ist. Genau so fraglich ist, ob ich in Zukunft weiterhin die Xbox 360 nutzen werde, jetzt, da ein Ende der Prepaid-Punkte-Karten in meinen Augen absehbar ist.

Wer ein mündiger Verbraucher sein möchte, dem bleibt nur eine einzige Möglichkeit: Dienste oder Produkte, die einem nicht gefallen, nicht länger mit Geld oder persönlichen Daten zu füttern und zu unterstützen.

*) sowie auch alle ähnlich ausgeprägten Dienste, von denen ich mich ohne viel Schmerz verabschieden konnte


Author: nille | Permalink | Category: kommentar, games